five | rindon johnson

Der Roman Clattering ist in Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Rainer Diana Hamilton entstanden und stellt unsere gewohnte Sicht auf Beziehungen, hierarchische Strukturen und Reproduktionssysteme in Frage. In Clattering gibt es kein Geschlecht, keinen Hunger, keinen Krieg und keine physische Gewalt, und doch bleiben bestimmte Gefühle und Emotionen vertraut und intensiv spürbar.

Anlässlich der Ausstellung wurden fünf der ersten 40 Seiten des Romans veröffentlicht, die einen Einblick in die literarischen Grundlagen von Johnsons Werken geben.

Johnsons künstlerische Praxis erweitert sein Schreiben zu räumlichen Installationen, die verschiedene Elemente oder Medien einbeziehen. In dem Roman beherrscht Sima, eine der fünf Hauptfiguren, das Handwerk des Glases und träumt davon ihre Fertigkeiten damit zu erweitern. Das dreiteilige Glasfenster Clattering ist eine Manifestation von Simas Fenster, das eine Brücke zwischen Fiktion zur Realität schlägt, indem Johnson die Grenzen zwischen Erzählung und physischem Bild verschmelzen lässt.

Die Skulptur Fruit of the poisonous tree, Higher and more free! […] (2023) ist aus Eschenholz gefertigt und leitet als Handlauf in die Ausstellung. Als Infrastruktur dient sie als Stütze und versperrt gleichzeitig den direkten Zugang zum Raum. Johnsons wiederkehrende architektonische Interventionen reflektieren soziale Systeme und deren physische Manifestationen im Raum und verweisen auf Ungleichheiten und ausgrenzende Eigenschaften. Er thematisiert die Folgen dieser Konventionen und die Unterrepräsentation bestimmter sozialer Gruppen in den gesellschaftlichen Strukturen. Indem er die Betrachtenden in einem performativen Akt durch die Ausstellung führt, macht er die Manipulation der Architektur konkret erfahrbar – etwa den Einfluss einer Wand im Raum oder fensterlose Öffnung Examples: laughter in the morning and tears in the afternoon […] nach Außen. Johnson schafft einen Parcours durch die Ausstellung, in dem er Konventionen aufbricht. Die asymmetrische geometrische Struktur der Skulptur basiert auf der Zahl fünf, die Johnson und Hamilton als Grundlage des Romans Clattering verwenden, um die Vielfalt der Möglichkeiten und eine Kollektivität jenseits unserer vertrauten Binarität zu beschreiben. In dem Science-Fiction-Roman sind fünf Personen notwendig, um Nachkommen zu zeugen.

Beyond the pines, pines, pines, pines, pines […] (2023) ist eine aus gebrauchten Ziegelsteinen gestapelte Mauer, die sich wie eine Welle durch den Raum zieht. Johnson bezieht sich dabei sowohl auf Sol Lewitts Mauern im „Hoffman Garden“ in Dallas als auch auf die in Großbritannien verbreitete Form der „crinkle crankle walls“. Während Lewitt diese Form wählte, um den Wurzeln der Eichen im Garten zu folgen, wurden die Mauern ursprünglich verwendet, da sie aufgrund ihrer serpentinenartigen Struktur weniger Ziegel benötigen. Johnson löst die Architektur als rein abschirmendes Element auf, das Innen und Außen definiert und interessiert sich für die Möglichkeit die Form zu nutzen, um Fragen nach Zugehörigkeit und Abgrenzung zu stellen. Mauern können Assoziationen zu Themen wie Migration und Überwachung wecken, aber sie können auch einfach ein hier und dort markieren. Johnson reflektiert über die Auswirkungen der Raumgestaltung auf unser Empfinden und Verhalten und fragt, wie wir uns in diese größeren Strukturen einfügen und uns darin wiederfinden. Der Künstler verwendet diese Form in Innenräumen sowohl als Werkzeug als auch als Provokation: Grenzen sind für ihn sowohl künstlich als auch von Natur aus zerbrechlich.

Now you tell me. Like always, so much depends on a single white chicken in the orchard. […] (2023) setzt sich aus fünf Screens zusammen auf denen Live-Streams von Start- und Landebahnen von Flughäfen übertragen werden. Der internationale Flugverkehr kann 24 Stunden am Tag nachverfolgt werden und rückt die Betrachtenden in eine voyeuristische Position in der sie Zeugen der ständigen Bewegung und Vernetzung unserer globalisierten Welt sind. Wieder wählt der Künstler einen Ausschnitt in eine andere Realität, in der Ereignisse beobachtet werden können, die Besuchenden jedoch außerhalb der Geschehnisse stehen. Ähnlich wie bei der Betrachtung des offenen Fensters und der Backsteinmauer untersuchen diese zusammengetragenen Live-Streams die impliziten Fiktionen, die unsere Sicht auf sozioökonomische Systeme beeinflussen. Now you tell me. [...] symbolisiert das zeitgenössische kapitalistische Narrativ, dass die Zeit zu knapp ist, um den Folgen ihrer Einsparung Aufmerksamkeit zu schenken: Die ständige Verbindung von Orten durch Flugreisen hat Vorrang vor dem Wohlergehen des Planeten und einem nachhaltigen Umgang mit ihm.

Paths wind through woods. Dogs chase their tails. […] (2023) ist eine freistehende Skulptur aus Leder, bei der Johnson die Haut beidseitig bearbeitet und in einen Rahmen aus Eschenholz spannt. Die anthrazitfarbene Oberfläche des Leders wirkt auf den ersten Blick wie eine Schiefertafel, die immer wieder neu beschriftet werden kann und die Johnson mit Kreiden bearbeitet. Die Verwendung der Kuhhaut als Grundlage der Zeichnung weckt zudem Assoziationen mit Pergament, dem Vorgänger des Papiers bei dem eine dünne Tierhaut seit dem Altertum als Schreibmaterial verwendet wird. Die Kuhhaut wird hier zur Skulptur, zur Malerei und gleichzeitig zum architektonischen Element. Dabei ist das Leder aber nicht nur Leinwand, sondern symbolisiert ebenso den kulturellen Einfluss des tierischen Materials. Mit der Materialwahl nimmt sich Johnson der Häute an und verweist durch deren Präsentation auf die vielfältige Ressource und der daraus resultierenden Unterwerfung, Vernachlässigung und Austauschbarkeit der Lebewesen durch die Menschen. Der eigentliche Akt der Häutung, eine gewaltsame Überschreitung der Körpergrenzen, veranschaulicht diese Form der Objektivierung. Johnson unterstreicht mit den Arbeiten aus Leder die Anerkennung der Handlungsfähigkeit von Tieren und stellt Ethik und Nachhaltigkeit unserer profitorientierten Interessen in Zusammenhang mit tierischen Produkten in Frage. Gleichzeitig überträgt Paths wind through woods. Dogs chase their tails. […] diese Fragen auf identitätspolitische und klassistische Themen, sowie Praktiken der rassistischen Ausbeutung.

Johnsons ausführliche Werktitel werfen auf poetische Weise zusätzlich Fragen hinsichtlich Autonomie und Macht auf, die als textliche Erweiterung die sprachliche Gewandtheit des Künstlers einbettet. Johnsons Überlegungen gehen stets von den Möglichkeiten und der Qualität von Sprache aus, welche die Werke wie Gedichte begleiten. Sie sind essentieller Bestandteil des Werks und durch subjektive Eindrücke des Künstlers gezeichnet, entziehen sie sich durch bewusste Ambivalenzen einer eindeutigen Lesbarkeit. Die vollständigen Werktitel öffnen sich mit einem Klick auf die Werkabbildungen.