Der britisch-pakistanische Künstler Haroon Mirza (*1977 in London, UK) versteht sich als Komponist und entwickelt mittels Sound, Video, elektronischen Schaltkreisen und Alltagsobjekten einen vielschichtigen Werkkomplex, indem er die Funktion der verwendeten Komponenten, sowie die Bedeutung ihrer kulturellen und sozialen Codes verändert.
Mirza stellt mit seinem stark kollaborativen Ansatz die Kategorisierung von künstlerischen Ausdrucksformen in Frage und greift auf vielfältige wissenschaftliche, historische, kunstgeschichtliche und popkulturelle, sowie spirituelle Einflüsse zurück.
In seinen multisensorischen Installationen erprobt er das Zusammenspiel und die Dissonanz zwischen Klang, Licht und elektrischem Strom und fordert die Betrachter/innen auf, eine Unterscheidung der Wahrnehmung zwischen Lärm, Geräusch, Ton und Musik aufzugeben und das Verhältnis zwischen den einzelnen Komponenten und dem umgebenen Raum in ungewohnter Weise neu zu erfahren. Dabei bezieht er sich formal auf Strategien der Minimal Art und lässt zeitgenössische Technologien mit umweltpolitischen Thematiken verschmelzen.
DRAF Evening of Performances, Ministry of Sound London (2019) | Photo: Jun Yoko Yana
All Photos: Milena Wojhan | unless otherwise stated
"I realise that the medium that I work with in most in my work is actually electricity. Electricity converted to both light and sound. I manipulate it so you see and hear it simultaneously."
– Haroon Mirza
Stone Circle, Marfa TX | Photo: Jennifer Boomer
For a Dyson Sphere (2022), Lisson Gallery, New York City
\|\|\|\| \|\|\ (2012), Kunsthalle Sankt Gallen | Photo: Gunner Meier
Der multimediale WerkzyklusThe Wave Epoch bestehend aus Video, Musik und Performance nimmt Referenzen aus Clubkultur, Zukunftsarchäologie, Glaubenssystemen und sozialen Ritualen in sich auf und ist als Kollaboration zwischen Haroon Mirza und Jack Jelfs mit den Musikern GAIKA und Elijha im Rahmen der Collide Residency an der Europäischen Organisation für Kernforschung CERN in Genf entstanden. Die Kernfrage der immersiven Installation, die Archivmaterial, Artefakte und elektronische Komponenten vorangegangener Experimente des CERN einschließt, ist folgende: Wenn der Large Hadron Collider (Teilchenbeschleuniger) ein paar tausend Jahre in der Zukunft ausgegraben würde und wenn sein ursprünglicher Zweck in Vergessenheit geraten wäre, wie würden die Menschen ihn dann interpretieren?
– Haroon Mirza & Jack Jelfs
Album-length Video The Wave Epoch (2020)
Mit der Verbindung des Wave Chandelier (2021) und der Video- und Soundarbeit The Wave Epoch entsteht eine vielschichtige Multimediainstallation, mit einer abgestimmten Komposition von Bild, Musik und Licht, die Bezüge zwischen Technologie, Natur, dem Menschen und Universum zusammenbringt.
Von der sternförmigen Mitte desWave Chandelier ausgehend verteilt sich ein Bündel von roten und schwarzen Kabeln, deren geschwungene Linien an Ketten alter Kronleuchter erinnern. Ritual und Technik vereint Haroon Mirza durch das Aufgreifen von Mustern und Formen von Mandala und die Kombination mit technoiden Elementen. Der Wave Chandelier bildet ein geometrisches Schaubild, das durch das pulsierende Licht – wie das ursprüngliche Mandala als Meditationsobjekt – eine körperlich-sensorische Wirkung auslöst.
Der Werkzyklus The Wave Epoch wurde in unterschiedlichen eigenständigen Werkumsetzungen seit 2018 zum Beispiel als Musikalbum, als Performance am Brighton Festival und im Londoner Club Ministry of Sound oder als multimediale Installationen realisiert.
Jack Jelfs spricht im Rahmen der Installation von The Wave Epoch in der Galeria Gnration, Braga, Portugal (2021) über die Residency am CERN und die Hintergründe zur Entstehung von The Wave Epoch.
– Dr. Rachel Mader (Art Historian, HSLU Lucerne)
Installation view The Dyson Sphere, at Novacène, Lille3000 (2022)
"I was working with solar panels and then kind of acknowledged that all these Megalithic monuments from the Neolithic period are based around the movement of the sun and the moon or other celestial objects. I immediately made the connection to the works with solar panels that I was making which also inherently rely on the movement of the sun."
– Haroon Mirza
Haroon Mirza, Stone Circle (2018) | Commissioned by Ballroom Marfa | Photo: Rowdy Lee Dugan
Haroon Mirza verbindet in seiner Serie Solar Powered LED Circuit Compositions Solarpanele, Pigmente und elektronische Schaltkreise mit Licht zu Wandarbeiten, welche die Rohheit und Ästhetik der verwendeten Materialien bewahren und gleichzeitig eine malerische Präsenz entfalten. Mirza schafft – in Anlehnung an Isa Genzkens ästhetische Sensibilität und Gerhard Richters prozessualen Ansatz, beispielsweise beim seriellen Malen von Kerzen oder des Verwischens auf der Leinwand – in seiner eigenen Formensprache feinfühlige Kompositionen aus technoiden Komponenten, die gepaart mit symbolhaften Elementen, Polarlicht-Landschaften und interstellare Räume andeuten. Die Intensität der leuchtenden LEDs variiert je nach Lichteinfall auf das Solarpanel und lässt die äußeren Einflüsse Teil der Solar Powered LED Circuit Compositions werden – so flackern die Kerzen der LED-Matrix nur bei starker Helligkeit.
Mirzas Interesse gilt dem Zusammenschluss der Energie und Elektrizität der heterogenen Bestandteile, wodurch ein geschlossener Stromkreis entsteht, der konzeptionell und metaphorisch als Analogie gesellschaftlicher Systeme verstanden werden kann.
– Roland Wetzel Director Museum Tinguely Basel
Installation view at Spike Island, Bristol (2012)| Photo: Stuart Whipps
The Construction of an Act ACCA Melbourne (2019) | Photo: Andrew Curtis
Die Wandarbeit 07:31 (Matter & Stuff) (2021) setzt sich aus der Platte eines Schaltschrankes aus der europäischen Organisation für Kernforschung CERN und weiteren ready-made Elementen zusammen. Haroon Mirza verbindet hier Elemente aus der Musikindustrie – zu der er selber einen eigenen Bezug hat – wie etwa ein Mikrofon- und Kopfhörerkabel mit Kupferband, Draht und Leiterplatten zu einem Schaltkreis, welche die hinter der Platte befestigten LED’s zum Leuchten bringen. Das orange und blaue Licht vermischt sich und breitet sich an der Wand aus und verweist auf die Farben der aufgehenden Sonne. Der Titel 07:31 (Matter & Stuff) bezieht sich zum einen auf den Zeitpunkt des Sonnenaufgangs am Tag der Fertigstellung des Kunstwerks und zum anderen auf das Erforschen von Materie im CERN und beschreibt das Interesse Mirzas am Verweben von technischen und kosmischen Bezügen. Dabei spielt Mirza mit geometrisch abstrakten Formen und vertraut wirkenden Gegenständen. Er bildet mit „07:31 (Matter & Stuff)“, durch eine präzise Formensprache kombiniert mit einer DIY-Ästhetik, ein komplexes Zusammenspiel von Licht und Elektrizität und schafft ein vielschichtiges sensorisches Erlebnis, das an Strategien der Minimal Art erinnert und die Beziehung von Objekt zum Ausstellungsraum auslotet.
After The Big Bang (2014) ist eine skulpturale Assemblage aus einem Gitarrenverstärker und einem darauf stehenden digitalen Fotorahmen, der ein Video eines Wasserfalls zeigt. Ein Rauschen dringt aus dem maximal aufgedrehten Verstärker, jedoch lässt sich zunächst fälschlicherweise vermuten, dass der Ton von der Aufnahme des fallenden Wassers stammt. Haroon Mirza verbindet hier Objekte und Interferenzen und schafft eine Situation, in welcher der Künstler mit der Wahrnehmung der Rezipient/innen spielt. Mirza fordert uns auf, die Wahrnehmungsunterschiede zwischen Lärm, Klang und Musik zu überdenken, und stellt die Kategorisierung kultureller Formen in Frage und schafft somit sensorische Neuverknüpfungen.
Light Work xliii (2022) ist eine Wandarbeit aus der gleichnamigen Werkserie von Lichtzeichnungen aus rot, blau und grün leuchtenden LED’s, deren elektromagnetische Wellen sich zu einem weißen Licht im Raum verbinden. Die jeweiligen Längen der LED Streifen sind durch ihre Strahlkraft bzw. die Intensität der RGB-Farben zueinander definiert und in Proportion gesetzt. Unter Verwendung reduzierter, geometrischer Formen, die durch die Verbindungen der einzelnen LED-Streifen mit Kabeln und Kupferband entstehen, untersucht Mirza die Präsenz von Licht und dessen Interaktion mit der Struktur des Raumes. Der Künstler reduziert die Linienzeichnung auf Elektrizität und den RGB-Farbraum und bezieht sich dabei auf Werke der Minimal Art aus den 1960er Jahren, wie die Lichtarbeiten Dan Flavins oder Fred Sandbacks geometrische Raumskulpturen aus Schnüren. Mirza nutzt in Light Work xliii Elektrizität in Form von Licht, um Verbindungen des menschlichen Daseins zu thematisieren: „I use electricity as a medium (which can be rationalised as waves), which in simple terms is reality – or more particularly, our conscious relationship to existence.“
Haroon Mirza erhielt 2011 den Silbernen Löwen auf der 54. Biennale von Venedig und 2014 den Nam June Paik Center Prize. Einzelausstellungen des Künstlers wurden u. a. im New Museum, New York (2012), dem Museum Tinguely, Basel (2015), im Pérez Art Museum, Miami (2017) und im Australian Centre for Contemporary Art, Melbourne (2019) gezeigt. Seine Werke sind u.a. in der Sammlung des Museum of Modern Art MoMA, New York, des Haus Konstruktiv, Zürich, des Guggenheim Abu Dhabi und des Museion, Bozen vertreten.
Installation view The Construction for an Act Australian Centre for Contemporary Art, Melbourne (2019)