Sébastien de Ganay verortet seine Arbeiten bewusst zwischen künstlerischen Genres und schafft Kunstwerke, die sich einer eindeutigen Kategorisierung in Bild, Relief, Objekt oder Möbelstück entziehen. Augenscheinig ist dabei die unglaubliche Vielfalt in de Ganays Œuvre, dessen Werke trotzdem untereinander über gemeinsame Strukturen, Systeme und Modi verbunden sind und über die der Künstler die Grenzen zwischen Gattungen, Traditionen, Kategorien und Klassifikationen in Frage stellt.
In diesem Viewing Room werden sechs verschiedene Werkgruppen vorgestellt, in denen das Paradoxe eine zentrale Rolle spielt und es wird gezeigt wie de Ganay und scheinbar Widersprüchliches in seinem innovativem und experimentellem Werk vereint.
In der aus Betonstahl gefertigten Werkserie der Museum Grids überträgt der Künstler die architektonischen Grundrisse bzw. Blueprints bekannter Museen maßstabsgetreu in eine eigene, räumlich-rasterähnliche Formensprache.
Während sich de Ganay in seiner früheren Grid-Serie auf formale Strukturen von Minimal Art Werken der 1960er und 70er Jahre bezog – wie im Werk rechts Grid Mangold (2017) – veranschaulichen die Museum Grids zusätzlich politische Strukturen. Durch die Reduktion erhalten die Gebäude nicht nur eine neue Charakteristik, sondern lassen den Ort des Museums anhand der gebauten Strukturen auch als Ausdruck kultureller, teilweise fragwürdiger Macht erscheinen. Durch die Verwendung von Warnfarben fordern die Raster die Betrachter/innen heraus, zu reflektieren, wofür ein Museum steht und was es repräsentiert, welche Künstler/innen gezeigt werden, wie es historisch gewachsen ist oder woher die Kunstwerke stammen. Durch die architektonische Auseinandersetzung weißt de Ganay darauf hin, dass der Kontext eines Kunstwerks durch den umgebenden Raum mitbestimmt wird und somit Museen nicht allein Orte der Repräsentation einzelner Werke sind, sondern ebenfalls Spiegel zeitgenössischer sozialer und gesellschaftlicher Ordnungen.
De Ganay arbeitet in Museum Grids dreidimensionale Objekte heraus, die sich durch Materialität, Maßstab und Farbgebung von der Zweidimensionalität des Bildes oder des zugrundeliegenden Grundrisses abheben und sich zu einer eigenständigen Linienzeichnung im Raum entfalten. Je nach Standpunkt und Überlagerung der Armierungseisen treten die Gitter aus der Wand heraus und ermöglichen einen neuen Blick auf die Gebäude. Anstelle der signifikanten Charakteristika bekannter Museen treten die Pläne und Strukturen in den Vordergrund, die zudem an Schaltkreise oder Steuermodule erinnern und ein Bild zeigen, dass dem kalten und sterilen digitalen Raum näher ist, als einem analog erfahrbaren Ort.
„Jedes Werk, das der Künstler entwirft, zeugt von seiner Auseinandersetzung mit Zeit, Material und Materie, mit Abstraktion und Alltag, mit den Grenzen zwischen Kunst und Leben; oder auch mit deren Aufhebung, die bei den BetrachterInnen und Betrachtern zwangsläufg zu Verwirrung führt.“
– Andreas Hofer, Kurator der Kunsthalle Krems, Austria (2017)
Pavillon Naked (2021) ist eine begehbare Skulptur, die zu einer Neuverortung der Besucher/innen innerhalb der Ausstellung auffordert. Die hohle Struktur aus Stahlrohren stellt sowohl eine Raumzeichnung als auch eine Intervention im Raum dar, durch die neue Verbindungen zwischen den Werken entstehen. De Ganay konstruiert einen Raum im Raum ohne tatsächliches Volumen. Die Form des Pavillons setzt sich dabei aus einzelnen offenen Modulen zusammen, die gemeinsam ein Referenzsystem zu verschiedensten früheren Werkgruppen bilden. Das Aufgreifen existierender Strukturen dient dem Künstler als formales Bindeglied zwischen den Werkserien. In Pavillon Naked wird die Struktur eines fiktiven Raumes offengelegt und regt dazu an sich ebenfalls mit dem umliegenden Galerieraum auseinanderzusetzen.
Photo: Simon Veres
Die Werkserie der Folded Flats steht in Kontinuität zu Sébastien de Ganays Erforschung von Falttechniken seit den frühen 1990er Jahren. Inspiriert von alltäglichen Post-its untersucht er in einer Vielfalt von Formen und Formaten die Faltungsmöglichkeiten des Quadrats. In serieller Arbeitsweise produziert de Ganay abstrakte Wandskulpturen mit minimalistischer Geste aus Aluminium, denen durch ihre reine Farbigkeit und dem Spiel aus Licht und Schatten ein malerischer Ansatz zugrunde liegt. Die geometrischen Formen beziehen sich dabei auf die reduzierte Formensprache der Minimal Art. De Ganay erweitert jedoch deren Verständnis von Form und Material („What you see is what you see“ – Frank Stella), da sich die Folded Flats nicht auf den ersten Blick offenbaren, sondern den Betrachter zur mentalen Beteiligung auffordern, den Dingen weiter auf den Grund zu gehen.
Photo: Simon Veres
Durch den hohen Wiedererkennungswert von Post-its eröffnen die Werke den Betrachter/innen einen Imaginationsraum, der parallel zum künstlerischen Prozess läuft und dazu anregt, die Variationen weiterzudenken oder die Formen zurück zum Quadrat zu führen. Mit spielender Leichtigkeit schafft der Künstler anhand von Faltungen räumliche Körper mit spontanen Geometrien, die sowohl Vorder- und Rückseite preisgeben. Die Folded Flats lassen sich zwischen zweiter und dritter Dimension, zwischen Oberfläche und Raum einordnen. Bewegt sich de Ganay bei vielen seiner Arbeiten zwischen Kunst und Design, so zielt er mit den Folded Flats auf den Grenzbereich zwischen Gattungen innerhalb der Kunst: „Wenn ich ein Folded Flat an die Wand hänge, dann ist es sowohl ein Bild als auch ein Objekt und auf jeden Fall ein Flachrelief, also beinahe eine Skulptur.“
Studioansicht Sébastien de Ganay | Photo: Simon Veres
Mit der Werkserie Carton Library Stool betritt de Ganay das Feld des angewandten Objekts und bricht die Grenzen zwischen Kunst und Design auf, indem er Skulpturen entwickelt, die durch die Art der Faltung zu Sitzgelegenheiten mit integriertem Fach für Bücher werden. Ausgehend von einem alltäglichen Papierkarton schafft de Ganay einen umfangreichen Korpus an Arbeiten, die das vielseitige Potenzial an Faltungen erkunden. De Ganay begreift das Material und die Erscheinungsformen von Kartons als ein Experimentierfeld mit großem Transformationspotenzial, das er seit 2002 erforscht.
Studioansicht Sébastien de Ganay | Photo: Simon Veres
Von der Fläche ausgehend lässt der Karton sich in die dritte Dimension und von der Unbestimmtheit ins Angewandte transformieren. In Anlehnung an Readymades und die Arte Povera geht de Ganay von einem einfachen Gebrauchsmaterial aus und verbindet dieses mit einer in der Tradition der Minimal Art stehenden Auseinandersetzung mit der Oberfläche, indem er den schnelllebigen Karton in hochwertiges Aluminium mit granulierter Lackierung übersetzt.
Arbeiten aus der Carton-Serie wurden 2013 im Centre Pompidou in Paris und bei den St. Moritz Art Masters ausgestellt.
Studioansicht Sébastien de Ganay | Photo: Simon Veres
In der 2011 begonnen Werkserie Seascapes erkundet de Ganay Fläche als freie, variable Form sowie als Referenz an die „Shaped Canvases“ der Minimal Art. Auf Kupferplatten setzt er Ausschnitte von Meeresblick-Fotografien des Fotopioniers Gustave Le Grey aus den Anfangszeiten des Genres in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die verschiedenen Aneignungsmodi werden durch die neue Form und die Materialität aus reflektierendem Kupfer zugleich sichtbar und entfremdet. Früh löste sich der Künstler in der Malerei von der rechteckigen Leinwand und variiert seitdem mit kreisförmigen, sich teilweise überlappenden, Modulen in verschiedenen Größen und Materialien.
In Seascapes ist die Form des Kreises auch von de Ganays Reisen nach Japan inspiriert, wo der Kreis in Zen-Gärten und Klöstern als Symbol der Erkenntnis häufig wiederkehrt sowie in Zeichnungen, Objekten oder als architektonisches Element als Fenster, das Ausblick in die Landschaft gibt und gleichzeitig auf das Innen und Außen der betrachtenden Person verweist. De Ganay siedelt seine Arbeiten bewusst zwischen künstlerischen Genres an, wobei die Seascapes zwischen Objekt, Malerei und Fotografie changieren sowie Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden. Der Farbton des spiegelnden Kupfers greift die düstere Stimmung der Seelandschaften der Normandie und Britanniens auf und erinnert durch die Sepia-Färbung an frühe Fotografien.
Das schweifende Auge der betrachtenden Person, dass sich normalerweise in der Landschaft verliert, wird durch die spiegelnde Oberfläche des Kupfers zurückgeworfen und bringt ein Fragment der Gegenwart in die frühen Bilder Le Greys.
Photo: Gustave Le Gray, La Grande Vague, Sète, 1857
– Sébastien de Ganay
Die Serie der modularen OPSD Stools setzt sich – wie auch die Werkserie Seascapes – aus „Open System Disks“-Variationen zusammen und folgt dem Prinzip der freien Anordnung kreisförmiger Module zu einer spezifischen Form. Sébastien de Ganay ordnet OPSD STOOL 3 (2018) und OPDS STOOL 4 (2018) bewusst zwischen künstlerischen Genres ein und schafft somit Kunstwerke, die sich einer eindeutigen Kategorisierung in Skulptur, Objekt, Tisch oder Hocker entziehen. Die Grenzen zwischen den Gattungen werden aufgehoben, während sich die mögliche Funktion lediglich durch den Titel offenbart.
Im Gegensatz zu den Folded Flats steht hier nicht die Öffnung der Form durch Faltung im Vordergrund, sondern die Multiplikation und Überlagerung des Kreises, die hier aus Holz und einem Gestell aus pulverbeschichtetem Stahl zum Vorschein kommt. Dabei lassen die Anzahl der Kreise auf Personen schließen, die auf OPSD Stools Platz nehmen können und verdeutlichen die verbindende Charakteristik des Werks, das je nach Platzierung im Raum kollektive Momente ermöglicht.
In der Werkgruppe der CERAMICS spielt de Ganay mit der Gegenüberstellung und mit der auf den ersten Blick paradoxen Verbindung von Fremdheit und Vertrautheit.
Studioansicht Sébastien de Ganay | Photo: Simon Veres
– Sébastien de Ganay
De Ganay ordnet seine CERAMICS als „familiar objects“ ein, im Gegensatz zu dem Begriff der „specific objects“, welcher 1965 durch den Künstler und Kritiker Donald Judd geprägt wurde. „Spezifische Objekte“ sind spezifisch, weil der Künstler ihre Form, ihren Maßstab, ihre Proportionen und ihre Materialität sorgfältig aufeinander abstimmt. Hingegen sind die CERAMICS gleichzeitig rätselhaft und vertraut, als wären sie zufällig, aber selbstverständlich so entstanden. Diese ambivalente Wirkung nutzt der Künstler in den CERAMICS, wie auch den Seascapes, als eine Spielform, die Dinge von ihrem Sein zu emanzipieren und als Möglichkeit, sie wie etwas anderes aussehen zu lassen als das, was sie wirklich sind. De Ganay nutzt in seinen CERAMICS Keramik als skulpturales Material, dass Bewegung und Abdrücke in sich aufnimmt und konserviert. Die Glasur der Skulpturen erinnert an matt-weißen Carrara-Marmor und wie de Ganay sagt: „Sie sind nichts weniger als der Ausdruck von Potenzialen und Metamorphosen im Entstehen.“
CERAMIC 68 (2020) und CERAMIC 105 (2020) sind Werke, die sich einer eindeutigen Kategorisierung entziehen. Bewusst siedelt Sébastien de Ganay seine Werke zwischen Kunst und Design, zwischen Skulptur und Objekt an, um Wahrnehmungsprozesse und Kategorisierungen zu hinterfragen. Als Vertreter der experimentellen Malerei und Skulptur kombiniert de Ganay in dieser Werkserie abstrakte, gegenständliche und funktionale Elemente zu Objekten mit malerischer Ästhetik. Er formt je CERAMIC zwei Zylinder zwischen welchen er als verbindendes Element eine runde Platte setzt, wobei sich die Glasur des unteren Zylinders jeweils farblich von den oberen zwei Teilen unterscheidet. Der Künstler experimentiert oft mit geometrischen Grundstrukturen, die er mit Einflüssen aus der Welt der Alltagsobjekte kombiniert. So erinnern die Keramiken an Vasen oder Lampenständer und schaffen ein Gefühl abstrakter Vertrautheit, die die Betrachter/innen spielerisch zu mentaler Beteiligung herausfordern.
biography
Sébastien de Ganay (*1962, Boulogne-Billancourt, FR) studierte an der Columbia University in New York Politikwissenschaft und Film und ist Mitbegründer des Kunstbuchverlags onestar press. Neben zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen unter anderem im Centre Pompidou Paris und dem Landesmuseum Niederösterreich in St. Pölten, zeigte 2014 das Institut Français in Wien eine umfangreiche Einzelausstellung des Künstlers. 2017 realisierte de Ganay für die Kunsthalle Krems eine vielbeachtete Gesamtinstallation in einer ehemaligen Dominikanerkirche, die von einem Übersichtskatalog zu seinem Werk begleitet wurde.
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Photo: Simon Veres