Ausstellungstext: poetics of reality, politics of reality | brigitte kowanz and troika

Die Ausstellung poetics of reality (encoded) bringt erstmals die Werke der österreichischen Künstlerin Brigitte Kowanz und dem Londoner Künstler/innen-Kollektiv Troika zusammen. Im Dialog werden deren experimenteller Umgang mit menschlicher Wahrnehmung und der Repräsentation von Realität durch codierte Sprache erkundet.

 

Der Titel poetics of reality (encoded) bezieht sich auf Sprache und Textbilder, die in Form von Codes Teil unserer Realität sind. Auf formaler Ebene wird dies in Kowanz‘ Werken anhand des Morsecodes deutlich, der durch kurze und lange Segmentierungen in die Neonröhren eingeschrieben ist. Troika übertragen digitale Systeme und Codes, wie Algorithmen, in ihre Bildsprache, die sich durch Farbpixel oder abstrakte Muster physisch offenbaren. Im Begriff der Poetik, der Theorie der Poesie, werden die logischen und konsequenten Regeln deutlich, aus welchen sich Sprache als Code aufbaut und darstellen lässt. Darüber hinaus wird aber auch auf jenseits der sichtbaren Realität liegende Bedeutungsebenen verwiesen. Diese offenbaren sich in der emotionalen Teilhabe der Betrachter/innen, wenn sie selbst Teil der Werke werden und durch ihren Standpunkt, den sie gegenüber den Werken einnehmen, deren Realität mitgestalten. Troikas Unstable Constructs (2021) verdeutlichen, dass selbst ein scheinbar fest konstruiertes Element wie eine Säule, durch die Veränderung seiner Oberfläche zur Disposition stehen kann. In der zentralen Installation Relations (2021) von Kowanz verschränken sich der reale Ausstellungsraum und virtuelle Spiegelraum, wodurch auch das Oszillieren des Lichts eine weitere Steigerung erfährt. Ebenfalls spiegeln sich darin die zwei Leinwände aus Troikas Serie Irma Watched Over by Machines (2020), in welchen Aufnahmen von Überwachungskameras während des Hurrikans Irma im Originalfarbspektrum RGB der digitalen Bildsensoren in eine malerische Komposition manuell übertragen wurden. Auch in diesen Werken werden zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Realität deutlich, die objektive Sichtweise der Maschine und der für den Menschen unverkennbare Inhalt der Aufnahme, der eine Naturkatastrophe zeigt.

 

Über ihre starke erfahrbare Präsenz hinaus, artikulieren sich in den Werken künstlerische Haltungen und Reflexionen über die Gegenwart. Kowanz referiert auf den Klimawandel, in dem sie die Daten des Übereinkommens von Paris mithilfe des Morsecodes in die spiralförmig geschwungenen Leuchtröhren als Zeugnis europäischer Zeitgeschichte überträgt. An anderer Stelle morst ein iPad als visuelles und akustisches Signal die Daten der Versendung der ersten E-Mail oder die Neonröhren in der gegenüberliegenden Vitrine World Wide Web 12.03.1989 06.08.1991 (2017) geben die Daten der Online-Schaltung der ersten Website wieder. Wie sehr die Digitalisierung nicht nur die tägliche Kommunikation, sondern die individuelle Wahrnehmung physischer Realität durchdringt, erkunden Troika in Werken, die sich aus Tausenden kleinen Würfeln zusammensetzen. Das manuelle Nachahmen von Algorithmen als künstlerische Technik wird in der Reaktion auf den rapiden technologischen und damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel reflektiert. Die Würfel in Troikas Hierophany (2019) stehen neben Kowanz‘ dynamischer Wandarbeit Chances (2020) für eine jenseits der tatsächlichen Realität liegende Symbolik für Glück, Zufall und Schicksal.

 

In diesem Kontext vereint die Ausstellung Werke von zwei künstlerischen Positionen, die über kraftvolle ästhetische und konzeptuelle Wahrnehmungsphänomene hinaus, in der Verschränkung aus virtuellem und realem Raum eine eigene zeitgenössische Poetik entfalten.

 

 

Text von Madeleine Freund, Kuratorin der Ausstellung

 

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