Lou Jaworski und Michael Venezia treten in ihrer von max goelitz präsentierten Duo-Ausstellung ROMs einen generationsübergreifenden Dialog an, der einen spannungsreichen Bogen über die Kunst der letzten 60 Jahre schlägt. In dem Aufeinandertreffen der Bildarbeiten und Skulpturen beider Positionen verdichtet sich ein Reflexions- und Verhandlungsraum, in dem die Grenzen traditioneller Kunstgattungen, ja des Künstlerischen selbst ausgelotet werden.
Der (kunst-)historische Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung kann in den hitzigen Debatten der 1960er Jahre verortet werden, die sich um die Minimal Art entzündeten. „Mindestens die Hälfte der besten neuen Arbeiten, die in den letzten Jahren entstanden sind, gehört weder zur Malerei noch zur Skulptur“, schreibt Donald Judd 1965 in seinem einflussreichen Essay Specific Objects und bringt so die gattungs- und grenzüberschreitende Stoßrichtung des Minimalismus auf den Punkt.
Die spezifischen Objekte, die Judd im Sinn hat, sind im Gegensatz zu den modernistischen Forderungen des Kunstkritikers Clement Greenbergs weder medienspezifisch, noch scheren sie sich um Fragen der Autonomie. Neben ihrem bewusst intermediären Status zeugen die Werke des Minimalismus von einer sich selbst zurücknehmenden Formensprache, die statt von der originären künstlerischen Handschrift selbstreferenzieller Werke durch die Verwendung industrieller Produkte und Verfahren sowie die unmittelbare Wahrnehmung von Materialien, Prozessen und Räumen geprägt ist. In der bewussten Hinwendung zur Realität – zu der reellen Tatsächlichkeit der Objekte und den tatsächlichen Lebensrealitäten ihrer Betrachter/innen – findet ein Schritt statt, der einen Weg aus der Moderne in die Zeitgenossenschaft, aus der Kunst hin zur Wirklichkeit markiert.
Sowohl Jaworski als auch Venezia wandeln auf diesem schmalen Grat. Geschickt positionieren sie sich innerhalb dieser kunstpraktischen und -theoretischen Entwicklungen der letzten 60 Jahre, reagieren gekonnt auf deren Herausforderungen und finden – unter historisch wechselnden Vorzeichen – je eigene und originäre Antworten auf Fragen, die sich seit dem Minimalismus stellen.
Venezia, der neben Judd zu den wohl bedeutendsten Protagonist/inn/en des Minimal zählt, schafft mit seinen sogenannten Twill, Stripe, Spray, Bar und Block Paintings seit den späten Sechzigern ein bemerkenswertes Werkkorpus, das die Grenzen des Malerischen erprobt. Mit seiner Praxis befindet er sich inmitten einer Schnittstelle, die von der modernistischen Abstraktion eines Pollock, Rothko oder Newman ebenso geprägt ist wie von den intermediären und ortsspezifischen Tendenzen seiner minimalistischen Kolleg/inn/en, wobei er einen gänzlich eigenständigen Weg einschlägt.
In seinen zwischen 1966 und 1973 entstandenen Spray Paintings, auf die sich die Ausstellung konzentriert, wird eine Mischung aus Öl- oder Acrylfarbe und Metallpigmenten mittels einer Sprühpistole auf Leinwand oder Papier gebracht. Schuss um Schuss bringt er seine Farbflecken auf den Bildträger. Mit diesem niemals gänzlich und immer nur bedingt zu kontrollierenden Akt des Farbschusses torpediert Venezia nicht nur im übertragenen Sinn den Mythos des souveränen Künstlersubjekts und autarken Bilds.
In Untitled (1971) beispielsweise gibt er die Integrität des Bildes dem gesteuerten Zufall und der schieren physikalischen Wucht seiner Sprühpistole preis. Die mit Aluminiumpigmenten angereicherte, hell leuchtende Farbe auf schwarz grundierter Leinwand zeugt in ihrer seriellen Rasterung und elementaren Farbigkeit zwar noch von dem grundlegenden medienspezifischen Interesse der gestisch-geometrischen Abstraktion. Jedoch gewinnt gerade die Farbe durch Venezias innovative Arbeitsweise eine solche materielle Qualität und Eigenständigkeit, dass sie sich von rein malerischen Fragen nach dem selbstreferenziellen Verhältnis von Figur und Grund, Bildträger und Farbauftrag loslöst. In Arbeiten wie Untitled (1971) oder CV1 (1972) scheinen sich die silbernen oder rostroten Farbschüsse vielmehr als geronnene Schusswunden eines penetrierten Bildkörpers zu gebärden und stellen Verbindungen zu unserer eigenen leiblichen Erfahrung her.
Bezüge dieser Art sind dabei nicht nur als bloße Metaphern oder Assoziationen, sondern als tatsächliche zu verstehen. Ganz konkret können Venezias Bilder als Objektkörper im Raum wahrgenommen werden, die auf den Ort ihres Ausgestelltseins reagieren. Wenn sich in dem reflektierenden Schimmer der Metallpigmente jeweils aktuelle Licht- und Raumverhältnisse widerspiegeln oder Venezia in seinen Bar Paintings die Farben direkt auf Holzbalken aufträgt und dadurch zum Objekt werden lässt, dann verlassen seine Malereien die Begrenzungen des Bildes und öffnen sich auf spezifische Weise unserer Wirklichkeit als ihrem neuen Ort.
Die Wirklichkeit, die Jaworskis Magnetskulpturen für sich behaupten, ist hingegen eine, die nahezu völlig losgelöst von der unsrigen ist. In diesen seit 2017 entstehenden Werken führt der Künstler die Forderungen des spezifischen Objekts konsequent weiter, indem er Gebilde schafft, die ihren Prozessen, Formen und Materialien nach unserer eigenen Erfahrung gegenüber geradezu indifferent sind.
Vordergründig scheinen Arbeiten wie I (2020) durchaus noch das Material- und Formvokabular eines Donald Judd heraufzubeschwören: das üblicherweise in der Schwerindustrie verwendete Material der Ferritmagneten, die Zurücknahme der eigenen Künstlerhandschrift in der Herstellung der geometrischen Form, die serielle Anordnung sich wiederholender Elemente im Raum. Anders jedoch als bei dem Selbstverweis des Minimalismus auf seine Präsentationsformen, bildet I ein in sich geschlossenes System, das gänzlich unabhängig von unserer Rezeption scheint.
Basierend auf den physikalischen Gesetzen der Anziehung und Abstoßung setzen sich die Pole der Ferritmagneten auch ohne das Zutun des Künstlers zu eigenständigen Gebilden zusammen. Die fast schon organische Dimension dieser selbstgenügsamen Systeme wird in Arbeiten wie A (2020) auf besonders eindringliche Weise anschaulich. Werdenden und vergehenden Körpern nicht unähnlich fügen sich ihre einzelnen Teile scheinbar wachsend aneinander und behalten sich ihrer konkreten materiellen Form zum Trotz das Potenzial bei, sich zu verändern. Es mag auf den ersten Blick nicht ersichtlich sein, aber Jaworskis Magnetskulpturen befinden sich mit dem Moment ihrer Entstehung in einem kontinuierlichen Prozess, in dem ihr empfindliches Equilibrium durch die widerstrebende Kraft der magnetischen Pole ins Wanken gebracht werden könnte.
Wie ein synthetischer Überblick lässt die zweiteilige Bodenarbeit AIRLINES (2020) die zentralen kunstpraktischen und -theoretischen Fragen in Jaworskis Schaffen anschaulich werden. In ihr scheinen sich sowohl die historischen Bezüge zur Kunst der Sechziger als auch zu den aktuellen Debatten um eine objektorientierte Ontologie zu verdichten. Die objektorientierte Ontologie steht für eine philosophische Position, in der die Existenz der Dinge nicht mehr in Abhängigkeit zur menschlichen Wahrnehmung und Erfahrung gedacht wird, sondern ihr Sein und Wirken jenseits jedes Anthropozentrismus angenommen wird. Kunsttheoretisch formuliert bedeutet das, dass sowohl die phänomenologischen als auch erfahrungsästhetischen Prämissen der Nachsechziger zugunsten einer Wirk- und Eigenmächtigkeit der Objekte untergraben werden. In der Arbeit sind geometrisch geformte oder abstrakt gebrochene Magnetskulpturen auf zwei rasterartigen Gittern aufgestellt und zueinander in Beziehung gesetzt. Dabei entsteht ein komplexes Netzwerk, das sich in den Ausstellungsraum hinein aufspannt. Wie Tower ragen einige der Elemente hervor, um die magnetischen Kraftbahnen beider Plattformen durch für uns nicht hörbare Funksignale zu lotsen. An den dabei wirkenden physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Anziehung und Abstoßung haben wir nicht teil. Unsere Anwesenheit, Rezeption und Interpretation sind für das in sich geschlossene System nicht von Belang.
In der interesselosen Selbstgenügsamkeit seiner eigensinnigen Objekte findet Jaworski eine durch und durch originelle Antwort auf die Frage nach einer zeitgenössischen Autonomie des Werks. Was ihn aber eher zu interessieren scheint, ist – unabhängig davon – die Eigenständigkeit der Dinge.
Neben den Magnetskulpturen präsentiert die Ausstellung auch Wandarbeiten aus 10 x 10 cm großen Quadraten aus Ferritmagneten und Offsetdrucke, die auf andere Weise Fragen der Intermedialität, Medienspezifik und Autonomie verhandeln. Jaworskis quadratisch oder rechteckig angebrachten Metallkacheln erinnern durchaus an Carl Andre, bringen dessen minimalistische Bodenplatten in einem neuerlichen Perspektivwechsel aber an die Wand. Als flache Reliefs spielen sie gleichsam mit ihrer malerischen Zweidimensionalität und plastischen Dreidimensionalität. Das logische Raster ihrer einzelnen geometrischen Elemente deutet dabei sowohl auf die selbstreferenzielle Autonomie abstrakter Kunst als auch auf die sich selbststrukturierenden Prinzipien magnetischer Pole, auf eine Autarkie jenseits der Kunst. In den Offsetdrucken Jaworskis stoßen wir wiederum auf eine andere Form des Grid, nämlich die gedruckter Rasterpunkte. Die intermediäre Verortung zwischen Flächigkeit und Plastizität wird bei den Drucken unter veränderten Vorzeichen verhandelt: denn hier geht es vor allem um eine Bildsprache des Digitalen und ihrer Übersetzung ins Dreidimensionale, um den räumlich-körperlichen Effekt, den sie bei ihrer Betrachtung entfalten.
Text von Danijel Matijević, Assistenz-Kurator Fridericianum, Kassel